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Sonntag, 8. August 2010

Moderne Sklavenhaltung oder auch Tagesschau.de

Meine lieben Leser. Es ist schon über ein Vierteljahr her, seit ich durch die Berichterstattung von Tagesschau.de in ein großes, breites Fettnäpfchen getreten bin, das sich damals "Rothemden" nannte. Durch die einseitige und unvollständige Berichterstattung habe ich damals tatsächlich geglaubt, die Proteste der "Opposition" in Bangkok seien friedlich verlaufen. Später entlarvte sich Tagesschau.de mit widersprüchlichen Aussagen und einem sehr informativen Interview mit dem deutschen Botschafter in Thailand weitestgehend selbst. Seither lese ich Tagesschau.de-Nachrichten mit einer gesunden Portion Skepsis. Wie ich heute sehen muss, zu Recht.

Heute steht ein wundervoller Artikel über die Auslastung des Internets des Online-Redakteurs Jan Starkebaum auf der Titelseite. Herr Starkebaum propagiert einerseits, dass das Internet überlastet ist, andererseits bietet er verschiedene Lösungen an, um dieses Problem zu lösen. Diese Lösungen stammen natürlich nicht von ihm, sondern von den Anbietern.
...sacken lassen.

Es ist nicht meine Art, meine Meinung über die Analyse zu setzen, aber diesmal tue ich es einfach: Was Herr Starkebaum sich da geleistet hat, das geht auf keine Kuhhaut. Nicht nur, dass er, wie es in den Medien gerade üblich ist, Google einen Seitenhieb verpasst; nicht nur, das er den Gedanken schürt, dass die Anbieter von Flatrates zu Volumenbasierten Tarifen zurückkehren wollen; nicht nur, das er suggeriert, dass Youtube-Nutzer und Leute, die sogenannte Warez (also illegal Filme und Musik downloaden)ziehen, am Kollaps des Internets Schuld sind; nein, der liebe Herr Online-Redakteur bemüht neben der urbanen Legende des kurz vor dem Kollaps stehenden Internets jedes ihm mögliche Argument, um Werbung vor Videos, Volumentarife vor Flatrates und Mehrkosten durch den Netzausbau mit Glasfaserkabeln zu rechtfertigen. Damit macht er sich der modernen Sklaverei durch den Kotau vor den Netzanbietern schuldig.

Aber gehen wir im Detail auf seine Ideen und Argumente ein.
1) Der Dateninfarkt des Internet, ein Fake wie die regelmäßig nicht einschlagenden Meteore?
Bereits 2007 prognostizierte der Spiegel für 2010 den Infarkt des Internets, also den totalen Zusammenbruch. Nun, wir haben 2010. Bin ich zu früh? Ist der Infarkt des Intenets zu spät? Fragen über Fragen. Aber ich nehme an, hier verhält es sich genauso wie bei einer Prophezeiung von Nostradamus: Erst wenn das Ereignis eingetreten ist, kann man es einer Prophezeiung zuordnen.
Also haben die Anbieter entweder in den letzten drei Jahren Unsummen investiert und herkuleanische Leistungen vollbracht, um den kommenden Infarkt abzuwehren, oder fünfundzwanzig Prozent Belastung durch Youtube, Videostreaming und ähnliches im Internet haben dann doch nicht für den Super-GAU gereicht.
Wie immer man es auch sieht, Herr Starkebaum hat ein uraltes Mysterium aus seinem feuchten Grab gezerrt, und mangelhaft wiederbelebt. Zudem nennt er im Gegensatz zum Spiegel 2007 keinen Termin für "seinen" Infarkt des Netzes. Das klingt für mich wie der Versuch, höhere Gebühren der Netzbetreiber schönzureden.

2) Wer mehr zahlt, hat auf der Datenautobahn Vorfahrt?
Oh mein Gott. Was für ein Schrott. Was für ein Witz. Das Internet funktioniert folgendermaßen: Von meinem PC geht eine Anfrage an eine bestimmte Seite. Diese Seite reagiert auf meine Anfrage und schickt die Antwort in vielen kleinen defragmentierten Datensätzen zu mir zurück. Diese Datensätze sind so codiert, dass sie auch bei mir ankommen. Dabei gibt es ab und an Verluste, und das bedeutet geringfügig längere Ladezeiten. Kann passieren, muss aber nicht. Mein Internet-Speed wird allerdings dadurch geregelt, wie hoch der Download ist, den mein Anbieter mir vermietet.
Um ein Zwei Klassen-Web zu ermöglichen, in dem der Mehrbezahler unabhängig von seinem Download-Speed Vorfahrt vor anderen Datenpaketen hat, müssten nicht nur die Severbetreiber weltweit mitspielen, man müsste in die gesamte Infrastruktur auch Zwischenserver setzen, die kontrollieren, ob das aktuelle Datenfragment eine Signatur hat, die sie einem Premium-Nutzer zurechnet. Auf diese Weise kann man das Internet verlangsamen, aber sicher keinen Premium-Zugriff ermöglichen.

3) Qualitätsklassen und Geschäftsmodelle?
Die Welt schrieb zum gleichen Thema (und endlich weiß ich, wo dieser ganze Quatsch her ist), Zitat: "Die Videoplattform YouTube verursache in drei Monaten den gleichen Datenverkehr im Internet wie alle Rundfunkstationen dieser Welt in einem ganzen Jahr..." Zitat Ende.
Dabei beruft sich Welt.de auf den Economist, hat also gar nicht selbst recherchiert und käut wieder. Etwas, was Tagesschau.de anscheinend auch sehr gut beherrscht. Einmal ganz davon abgesehen, dass eine Viertelmillion Homepages sicher nicht soviel Datenverkehr verursachen wie Clipfish und Konsorten, selbst wenn man den Radiostream dazurechnet. Aber wer versucht, Äpfel mit Birnen zu addieren, kommt eben immer zum gleichen Ergebnis: Beides ist Obst.

4) Werbeclips vor Videos schalten?
Eine mögliche Kostenbremse sieht Herr Starkebaum darin, vor Videoclips Werbeclips zu setzen, wie es zum Beispiel Web.de/Gmx.de und manchmal auch Youtube schon einige Zeit tun. Damit kann das Web refinanziert werden. Oder anders ausgedrückt: Ich bezahle die Telekom für meinen Internet-Anschluss, und große Firmen bezahlen Inhalte-Anbieter, nicht Provider, im Netz dafür, dass sie mich mit überflüssiger Werbung nerven.
Herr Starkebaum, ich dachte es geht um die Überlastung des Netzes, nicht um dessen Finanzierung? Wie soll ein vergrößertes Übertragungsvolumen durch MEHR VIDEOS das Web entlasten? Ein etwas durchsichtiges Argument, dass vermuten lässt, dass Sie versklavt sind, Herr Starkebaum. Versklavt von der Industrie.

5) Sorgen um freien Datenverkehr?
Der Artikel rührt einen schönen großen Pott an. Ingredienzien sind eBay, Google, Youtube und Amazon, die besonderen Wert auf freien Internet-Zugang setzen sollen.
Noch einmal, Herr Starkebaum, ich dachte, es geht hier um die Belastung durch zuviel Traffic? Freier Datenverkehr ist selbst dann gewährleistet, wenn mein Internet wie zu Modem-Zeiten schleicht, und ich mit 56KB durch das Internet surfe. Bitte lernen Sie doch das Vokabular der Branche, bevor Sie sich wieder mutwillig blamieren.
Die einzige Firma, die einigermaßen von Premium-Geschwindigkeiten und Usern zweiter Klasse betroffen sein würde, wäre ohnehin Youtube. Und damit das für diese Seite Folgen hat, müssten sich Provider weltweit für ein gemeinsames Zwei Klassen-Web entscheiden. Ansonsten werden nämlich zweieinhalb Milliarden Chinesen und Inder wesentlich schneller im Web sein, als es den Europäern dann möglich ist. Aber wir sind ja auch nur ne Viertelmilliarde. Und die Chinesen wird es freuen, wenn wir ihre Bandbreite in Ruhe lassen.
Noch einmal: Von langsamen Datenverkehr ist die Freiheit im Internet nicht bedroht. Wovon sie allerdings bedroht ist, das ist zum Beispiel der Anspruch der Bundesregierung, Google zu zensieren. Und im Gegensatz zu Chinas Forderungen werden Berlins Forderungen umgesetzt. DAS ist die richtige Gefahr für das freie Internet.

6) Netzanbieter werden zu Schrankenwertern?
Tschuldigung. Gerade ich, der öfter mal einen Tippfehler in seinen Blogposts hat, sollte mich nicht darüber lustig machen, wenn es einem anderen passiert. Aber einem Bezahlmedium des führenden öffentlich-rechtlichen Senders ARD darf so etwas nicht passieren. Es heißt SchrankenwÄrter. Mit ä, nicht mit e, Herr Starkebaum. Sicherheitshalber habe ich das mit Hilfe des Duden verifiziert. Zu den offensichtlichen Nachbetungen überholter Argumente kommen jetzt auch noch peinliche Tippfehler. Hat Tagesschau.de keinen Lektor in der Redaktion?

7) Netzausbau und Berlins vorsichtiges Bekenntnis zur Netzneutralität?
Hm. Hm. HM! Erst neulich hat mir die Telekom angeboten, meine Flat mit 16Mbit auf den VDSL-Standard von 25Mbit zu erhöhen. Und sobald das bei mir verfügbar ist, werde ich das auch tun. Der Netzausbau scheint in vollem Gange zu sein. ;D
Was Berlin allerdings von Netzneutralität hält, kann man absehen, wenn man sich die Diskussion über Bezahlinhalte, Internetzensur durch Zensursula, Stoppschilder vor bösen Seiten (anstatt sie zu löschen) und die Urheberrechtsdiskussion vor Augen hält.
Letztere ist meiner Meinung nach nichts weiter als eine Farce, da sich z.B. die BILD (als einer der Begründer der Urheberrechtsdiskussion) bei der Berichterstattung über die Loveparade ungeniert über das Urheberrecht der tödlich Verunglückten hinweg gesetzt hat, und eiskalt in der Druckausgabe abgelichtet hat. Das wäre mal ein Punkt für Netzneutralität; nämlich die Rechte unschuldiger BILD-Opfer zu wahren, und nicht darüber zu diskutieren, wie einem amerikanischen Großkonzern Geld für nix aus den Rippen geschnitten werden kann.

8) Bezahlmodelle und Kabelanbieter für Internet?
Herr Starkebaum beweist einmal mehr, dass er sein Vokabular nicht beherrscht.
Im letzten Block, in dem es wieder einmal um teureres Internet und die Polemik geht, selbiges für die User schmackhaft zu machen, referiert er über Internetanbieter über Kabel. Zitat: "Kabelanbieter drängen mit hundert Megabit-Raten auf den Markt." Zitat Ende.
Ich kann mich irren. Nein, ich bin mir sehr sicher, dass ich nicht irre. Diese 100 Mbit-Rate klingt doch nach genau der Leistung, die moderne WLAN-Netze zur Zeit leisten können. Ein Blick auf eine große Kabel-Internet-Vergleichsseite zeigt uns dann auch, dass Begriffe wie 100Mbit im Zusammenhang mit keinem Kabelbetreiber auftauchen.


Fazit: Tagesschau.de und besonders ihr Redakteur Jan Starkebaum macht mit diesem Artikel gleich mehrere Dinge klar. Zum Beispiel, dass sie ein willfähriger Sklave der Internet-Industrie ist und Preiserhöhungen schönredet, bevor sie überhaupt angedacht sind. Zum Beispiel, dass Herr Starkebaum keine Ahnung von dem hat, was er da (ab)geschrieben hat. Zum Beispiel, dass nicht nur deutsche Politiker absolut keine Ahnung vom Internet haben. Zum Beispiel, dass Videos und Google für Tagesschau.de die neuen Superbösen sind, und das obwohl sie dem modernen Internet nach eigener Aussage nur ein Viertel der Bandbreite kosten. Wäre es da nicht interessant gewesen, die anderen drei Viertel unter die Lupe zu nehmen, jetzt wo das Netz vor dem endgültigen Kollaps steht?

Setzen, sechs. Aufgabenstellung nicht erfüllt. Aber keine Sorge, die BLÖD sucht eigentlich immer ein paar alles nachplappernde, Recherchefaule Reporter und Redakteure.

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