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Mittwoch, 24. Oktober 2012

Erdbebenprognose ist kein An/Aus-Schalter

Stichwort Erdbebenprognose.
Schauen wir nach Japan, ein Land, das nicht nur am sogenannten pazifischen Feuerring liegt, defacto dem Rand der Pazifik-Kontinentalplatte, was die Folge hat, dass es rings an den Ufern des Pazifiks, und damit auch in Japan, Hunderte Vulkane und eine gesteigerte Erdbebengefahr gibt, sondern das auch noch aus vier langgestreckten Inseln besteht, die entlang des Feuerrings verlaufen.
Japan ist ein hochmodernes Land. Es schützt sich gegen Erdbeben zum Beispiel durch moderne Bauweisen, den Einbau von Gyroskopen in Hochhäusern, um die Schwingungen der Erschütterungen eines Bebens auszugleichen, verfügt an den Küsten über Tsunami-Sperren, und über einen gut trainierten Katastrophenschutz.
Japan lebt schon seit Jahrtausenden mit Erdbeben. Es ist nichts Ungewöhnliches für dieses Land. Man kennt und lebt mit den Erdbeben. Als letztes Jahr im Winter das Touhoku-Erdbeben der Stärke 9.0 das Land erschütterte und die anschließende Tsunami fast zwanzigtausend Menschen tötete (etwas über zweitausend werden noch immer vermisst), war dies das stärkste jemals gemessene Erdbeben seit Beginn der seismischen Aufzeichnungen für Japan. Es war eine unglaubliche Katastrophe, die, verbunden mit dem Reaktorunglück in Fukushima Daiichi und diversen anderen ostjapanischen Reaktorstandorten wohl kaum schrecklicher hätte sein können. Aber, und das sage ich hier jetzt mal, ohne etwas schönreden zu wollen, es hätte noch viel schlimmer ausfallen können.
Einmal ganz davon abgesehen, dass man vor einer zehn Meter hohen und mehrere Kilometer langen Wasserwand nicht besonders gut fliehen kann - womit man nicht rechnet, darauf kann man sich nicht vorbereiten - verhielten sich Japan und die Welt außergewöhnlich diszipliniert, und die Hilfsaktionen für die schwer getroffenen Provinzen liefen schnell mit weltweiten Teams an.
Wobei ich mich peinlich berührt daran erinnere, dass die deutschen Hilfsteams, kaum das sie angekommen waren, wegen angeblicher Gefahr der radioaktiven Verstrahlung wieder abgezogen wurden, Chinesen und Koreaner aber weitergemacht haben... Wahrlich kein Ruhmesblatt für uns Deutsche.
Ließ sich Japan davon unterkriegen? Nein. Bereits vorher hatte das Land schwere Erdbeben zu überstehen, eines davon erwischte 1995 die Stadt Kobe und löste eine mittlere Katastrophe mit fast fünftausend Toten aus. Die anschließenden Brände machten über dreihunderttausend Menschen obdachlos, und Japan lernte daraus.
Japan weiß, dass es durch Erdbeben stark gefährdet ist. Deshalb gibt es ja auch erdbebensichere Bauweisen, gerade in der Megastadt Tokio. Oder auch das Handy-Warnsystem, das ein bevorstehendes Erdbeben in einer Region bis zu dreißig Sekunden zuvor erfassen und eine Notfallwarnung an alle Handys der Region abgeben kann, um den Menschen zu ermöglichen, sich in der verbliebenen Zeit so gut es geht in Sicherheit zu bringen.
Und legendär natürlich jede japanische Nachrichtensendung, bei der ein Erdbeben das Studio durchschüttelt, die Sprecher es stoisch aussitzen und im Hintergrund die Schränke umfallen... Man kennt Erdbeben, man weiß damit umzugehen. Selbst das fatale Houtoku-Erdbeben konnte Japan nicht unterkriegen, und ab sofort weiß man in Japan mehr darüber, wie man sich vor einem 9.0er mit anschließender Super-Tsunami besser schützen kann. Wir können zu Recht sagen - ich sage das besonders - was Erdbeben angeht, da lassen sich die Japaner kein X für ein U vormachen, und sie streben beständig, als Volk, das ohnehin in einem stark gefährdeten Erdbebengebiet lebt, danach, den Schutz der Menschen und der Gebäude zu verbessern.

Szenenwechsel in die italienischen Abbruzzen, einem stark erdbebengefährdeten Gebiet, das sich relativ nahe am Vesuv befindet, jenem Supervulkan, der vor zweitausend Jahren jenes Gebiet, das heute von Neapel vereinnahmt wird, in einer gewaltigen Eruption praktisch entvölkert hat und dabei die Städte Pompeji, Stabiae und Herculaenum vernichtete.
Dass die Region relativ unruhig ist, wissen wir ohnehin, denn der Stromboli im Tyrrhenischen Meer ist nahezu permanent aktiv. Gleiches oder ähnliches gilt für den größten Vulkan Europas, den in Ostsizilien zu findenden Ätna. Italien befindet sich nun einmal in der prekären Lage, im Zusammenstoßgebiet von afrikanischer und europäischer Platte zu sein; und dass Spannungen, die die Alpen aufschieben, keinerlei Auswirkungen auf jenen Teil der afrikanischen Platte haben soll, der "direkt schiebt", ist vielleicht etwas zu blauäugig gedacht. Dementsprechend ereignete sich in der relativ tektonisch aktiven Region der Abruzzen 2009 ein Erdbeben der Stufe 6,3 auf der Richterskala.

Heute vermeldet der Stern, dass im Zuge des Erdbebens und der Bewältigung der Folgen sieben Wissenschaftler sowie der ehemalige Sprecher des Zivilschutzes, Bernardo di Bernadinis, zu sechs Jahren Haft verurteilt worden sind.
Die Begründung des Gerichts, di Bernadinis' Aussage, "es bestehe keine akute Erdbebengefahr, und die Bevölkerung könne sich bei einem Glas Wein entspannen", hätte zu hohen Opferzahlen geführt, ist umstritten. Und der Prozess selbst hat bereits im Vorfeld zu Protesten von über fünftausend italienischen Wissenschaftlern geführt.


...sacken lassen.
Gehen wir die Sache doch mal empirisch an. Die Abruzzen sind Erdbebengebiet, und das nicht erst seit gestern. Viele Tote gab es, als nicht Erdbebensichere Häuser zusammengestürzt sind. Noch immer sind viele tausende Menschen in der Region obdachlos. Es gab viel Wut und Ärger in der Region, nicht zuletzt deshalb, weil Bauvorschriften nicht eingehalten und die Hilfe vom damaligen Ministerpräsidenten Berlusconi viel zu spät und in viel zu kleinem Maßstab ankam. Was man auch daran sieht, dass noch immer Menschen obdachlos sind. Die Altstadt von L'Aquila war oder ist, ich weiß es nicht genau, seit dem Beben baufällig und in großen Teilen unbewohnbar.
Und da kommt ein Zivilschutzsprecher daher und sagt vor dem Erdbeben, dass die Menschen in aller Ruhe einen Wein trinken sollen. Verständlich, wenn sich dann der Zorn der Bevölkerung gegen die unpräzise, ja, verharmlosende Wissenschaft und einen unfähigen Zivilschutzbeautragten richtet, oder?
Mitnichten.
Die Erdbebenvorhersage ist eine unpräzise Wissenschaft, kein An/Aus-Schalter. Wir haben Vulkane in Deutschland, zum Beispiel in der Eiffel, die seit zwölf bis zwei Millionen Jahren inaktiv sind. Die werden auch in weiteren zwei Millionen Jahren nicht ausbrechen, aber eine gewisse Möglichkeit besteht eben doch, dass sie es tun. Man kann es nicht ausschließen.
Gleiches gilt für den "Supervulkan unter dem Yellowstone Nationalpark". Man sollte meinen, wenn eine vulkanische Magmakammer dieser Größenordnung auszubrechen gedenkt, gibt es erst einmal Jahre oder gar Jahrzehnte zuvor eine große Anzahl an Vorbeben. Von denen im Moment nichts zu bemerken ist. Auszuschließen, dass die Kammer morgen nicht doch ausbricht, kann man nicht. Allerdings ist die Chance, dass sie es ohne Vorbeben tut, doch verschwindend gering. Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich.
Anders sieht es in den Abruzzen aus. Die Region liegt auf einer geographisch aktiven Platte, quasi zwischen allen Stühlen. Größere und kleinere Beben sind in der Region normal.
Natürlich ist es nicht unmöglich, ein bevorstehendes Erdbeben einzugrenzen und bis auf ein paar Tage Ungenauigkeit vorherzusagen, wenn die Anzahl der Vorbeben stimmt, wenn sie sich stetig steigern, wenn alles z.B. auf den Ausbruch eines Vulkans hindeutet, wie beim Mount St.Helen in den Rocky Mountains. Aber manchmal kann das erste Vorbeben auch das Hauptbeben sein. Wir wissen noch zu wenig darüber, um auch ein solches zu erkennen, zumindest nicht mit einer mehrtägigen Vorwarnzeit. Nur gezielte, geförderte Forschung von Fachleuten auf diesem Gebiet kann den Erdbebenschutz stetig verbessern. Was aber äußerst unproduktiv ist, ist die Suche nach dem Schwarzen Peter bei den Erdbebenwissenschaftlern, wenn er eigentlich bei den Baufirmen und der Baubehörde der Region liegen müsste. Die Forscher haben das Erdbeben nicht gemacht, und sie hätten es auch nicht verhindern können. Auf sie wütend zu sein ist das Gleiche, wie den Boten zu töten, wenn er schlechte Nachrichten bringt.
Ich meine, wir reden hier von einem aktiven Erdbebengebiet. Klar war die Aussage von di Bernadinis im geringsten Fall ungünstig, aber wenn nun mal kein Vorzeichen für ein starkes Erdbeben vorhanden war, dann war die Lage nicht gefährdeter als an den Tagen zuvor. Und wie war sie, die Lage in den Abruzzen? Es bestand Erdbebengefahr. Wie an jedem anderen Tag. Quod erat demonstrandum.

Mein Fazit: Das Urteil von Aquila übersteht nie das Berufungsverfahren. Eine so unhalbare gerichtliche Position ist Augenwischerei, Opium für die Massen, um davon abzulenken, dass die Opfer des Erdbebens ganz anderen auf dem Gewissen lasten müssen, nicht den Wissenschaftlern.
Wer das so sieht, hat nicht verstanden, was Wissenschaft ist, was Erdbebenforschung ist, und wird auch nie seinen Nutzen aus ihr ziehen können. Erdbeben sind heutzutage vorhersehbarer, berechenbarer, können aber dennoch zu einer mehr als herben Überraschung werden.
In Japan gab es Dutzende, hunderte Vorbeben. Mit einem so gewaltigen Beben wie dem Touhoku-Erdbeben hat aber niemand gerechnet. Japan hat große Opfer hinnehmen müssen, muss viel aufbauen und leidet unter der Belastung durch die Verstrahlung der Fukushima-Region vom Daiichi-Reaktorkomplex. Will sagen, die Japaner arbeiten konstruktiv daran weiter, ihren Erdbebenschutz zu verbessern.
In Italien sehe ich bis jetzt nur den Willen, die Jagd nach Sündenböcken zu verbessern, als zum Beispiel mal in Japan nachzufragen, wie sie es denn mit dem erdbebensicheren Bauwesen machen.
Ein für mich vollkommen unverständliches Verhalten. Italien, nimm Dir ein Beispiel an Japan.

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