Seiten

Dienstag, 7. November 2017

Geschichte auf Repeat. Just my 2 Cent.

Ich lese gerade. Ja, das kommt vor. Nicht so oft, wie ich könnte, und nicht so oft, wie ich wollte, aber es kommt vor. Warum ich das erwähne? Geduld.
Das Buch, das ich gerade lese, heißt "Tecumseh" von Fritz Steuben, eine cinematische Biographie über das Leben des berühmten Häuptlings. Und natürlich über seinen Tod auf dem Schlachtfeld. Ich bin noch nicht sehr weit, erst auf Seite 97, aber mir fallen einige Dinge immer wieder auf. Zum Beispiel, dass sich alle Autoren, die über die "Indianer" schreiben, in einem vollkommen einig sind, egal ob sie Fritz Steuben oder Karl May heißen: Der rote Mann wurde vom weißen Mann nach Strich und Faden betrogen. Warum? Weil sie es konnten. Und hier sehe ich eine große Parallele zu unserer eigenen europäischen Geschichte und zu dem, was jetzt gerade hier in Deutschland geschieht. Ich möchte drei, vier Geschichten erzählen und dann ein Fazit ziehen.
Wir beginnen mit einer Szene aus dem Buch von Fritz Steuben. Zwei britische Kolonien, Virginia mit seinen Trappern und Bauern und Pennsylvania mit seinen Quäkern liegen im Streit miteinander. Die Quäker liefern den "Indianern" südlich der großen Seen Gewehre und bezahlen sie für ihre Pelze sehr gut; bei den Virginiern sind nicht nur die Preise schlecht, sondern man läuft als roter Mann Gefahr, jederzeit erschossen zu werden, und als rote Frau, vergewaltigt... Dass die Virginier nicht einsehen wollen, dass sie vom Indianergeschäft nichts abkriegen, wenn sie sich nicht ändern, ist klar offensichtlich. Was aber tut der Gouvernor? Um die Virginier davon abzuhalten, die Quäker zu attackieren, die selbst gut gerüstet sind, provoziert er einen Krieg mit den Irokesen.
Bevor es aber zum Krieg kommen kann, geschieht eine Greueltat sondergleichen. Ein Wirt, angeblich ein Freund des Häuptlings Logan, lädt dessen Familie, Eltern, Brüder, Kinder, zu einem Fest ein. Der Krieg ist da noch nicht ausgebrochen. Logan selbst ist mit Tecumseh unterwegs, um bei einem weißen Freund nach dem Rechten zu sehen. Der Wirt hat ein gutes Dutzend virginianischer Jäger zu Gast, als die Shawnee eintreffen. Es gibt viel Feuerwasser, und als die Indianer betrunken sind, werden sie in Kanus gesetzt, auf den nahen See hinausgeschoben, und die ebenfalls betrunkene Meute benutzt die Erwachsenen wie die Kinder als Zielscheiben.
(Ob dies historisch belegt ist, kann ich nicht auf die Schnelle recherchieren, aber Fritz Steuben erhebt Anspruch auf Authenzität, daher kann man davon ausgehen, dass er sich die Geschichte nicht aus den Fingern gesogen hat.)
Wir kommen etwas weiter in die Zunkunft, WK I, um genau zu sein. Damals waren das osmanische Reich und das Kaiserreich Verbündete, was sich unter anderem darin äußerte, dass die Kommandostruktur der Armee mit deutschen Offizieren durchsetzt war. Diese Offiziere berichteten von der "Umsiedlung" der armenischen Minderheit, weil sie als unzuverlässig und potentielle Rebellen galt; tatsächlich ging es den kurdischen Begleitverbänden, die diese Umsiedlungen durchführten, nicht darum, die Armenier von A nach B zu bringen. Die deutschen Offiziere, die Augenzeugen wurden, und nur in den seltensten Fällen eingegriffen haben, berichten von reinen Märschen ohne Ziel, mit dem einzigen Zweck, dass die Armenier, Männer, Frauen, Kinder, Alte wie Junge, einfach an Erschöpfung starben - was nach genau diesen Offizieren auch sehr erfolgreich war.
Noch etwas weiter, bitte. Die Nazizeit. Judenverfolgung. Goebbels hält im kleinen Kreis seine Rede von einer allumfassenden Lösung der Judenfrage, weil "sonst jeder sagt: Ja, die Juden, macht mal, aber nicht meinen Nachbarn, der ist in Ordnung." Und ohne die allumfassende Lösung hat dann jeder Deutsche "seinen" Juden, und wir sind wieder am Anfang."
Das Ergebnis: Sechs Millionen Tote in allen Altersgruppen. Ein Kommandant von Auschwitz-Birkenau, der sich regelmäßig die Vergasungsaktionen angeschaut hat, weil "er selbst ertragen musste, was er anderen befahl". Oder auch einfach Hungertod und Epidemien in Bergen-Belsen, denen u.a. die Töchter der Familie Frank zum Opfer fielen.
Und reden wir mal besser nicht von den russischen Kriegsgefangenen zwei Jahre zuvor in Bergen, die ohne geregelte Ernährung zu unwürdigsten Bedingungen auf freier Fläche mitten in der Heide eingepfercht waren und sich teils mit bloßen Händen Erdlöcher gruben, um überhaupt irgendwie geschützt zu sein... Unnötig, extra zu erwähnen, dass die Wenigsten diesen Bruch der Haager Landkriegsordnung überlebten. Aber es waren ja nur Russen. Slaven. Angehörige einer unterlegenen Rasse, so die Nazis.
Fazit: Alle drei Beispiele haben eines gemeinsam. Zuerst einmal wird von "denen gegen uns" gesprochen. Ob es nun die Indianer waren, die Armenier (meinetwegen auch die von den Italienern verfolgten Libyer), die Juden, es war immer eine Reduzierung auf eine Gruppe, nie die Betrachtung der einzelnen Person. Auschwitz war eine Massenabfertigung. Die Todesmärsche galten für alle Armenier, derer die Osmanen habhaft werden konnten. Die Shawnee wurden gar nicht erst als Menschen angesehen, auch wenn sie getauft waren.
Das bringt uns zum Punkt zwei. "Wir" ist besser als "die", und Strafe ist nicht zu befürchten. Im Gegenteil, gegen "die" zu kämpfen wird sogar gewünscht. Sie zu töten, zu vertreiben, was auch immer. Weil sie nicht die gleichen Rechte haben wie "wir". Auch die Juden in der automatischen Tötungsmaschinerie waren auf etwas reduziert, was sie von Individuen zur gesichtslosen Masse machte, der man ruhig alles antun konnte. Ich erwähne da nur mal Dr. Mengele.
Es ist ein uraltes Konzept, "die gegen uns" auszurufen, einen klaren, erkennbaren Feind aufzustellen und gegen diesen alles zu erlauben, was "bei den eigenen Leuten" nicht erlaubt war. Es hat auch zwanzigtausend Jahre gut funktioniert. Leider, möchte man meinen.
Haben wir uns weiter entwickelt? Von römischen Soldaten in Britannien, die Boudicas Töchter vor ihren Augen vergewaltigt haben, um einen Krieg zu provozieren?
Von den Rittern des Ersten Kreuzzugs, die der Papst eigentlich einberufen hatte, um in seinem Sinne Krieg zu führen, und die stattdessen Konstantinopel plünderten, von Jerusalem ganz zu schweigen?
Von schwedischen Truppen im 30jährigen Krieg, die Bauern Jauche einflößten, den "Schwedentrunk", um sie zu zwingen, ihre geheimen Vorräte herauszugeben?
Von japanischen Offizieren im WKII, über die eine Zeitung daheim enthusiastisch berichtete, weil zwei von ihnen chinesische Kriegsgefangene "um die Wette" mit ihren Schwertern geköpft haben?
Vom Einsatz von Napalm im Vietnam durch die USA, von Sippenstrafen gegen aufständige Afghanen durch die Russen?
Und reden wir mal besser nicht über Jugoslawien und Kosovo.
Immer und immer wieder werden Individuen zu künstlichen homogenen Gruppen erklärt, die Eigenschaften haben sollen, die sie natürlich nicht haben, aber wenn alle anderen es glauben, dann glaubt man das besser auch. Sie sind der Feind, der, dem man alles antun kann. Der, von dem man glaubt, dass er genauso gemein, fies und brutal und vor allem tödlich sein würde wie man selbst ist, wenn er könnte, wie man selbst es gerade kann. Oder sogar schlimmer.
Springen wir für eine letzte Geschichte in unsere Gegenwart. Springen wir nach Deutschland. Schauen wir uns an, wie auf gewissen Demonstrationen zur Rettung des Abendlandes argumentiert wird. Da werden homogene Gruppen geschaffen wie die "Nafris", die "Ausländer", die, die "uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen", und gegen die es auch Gewalt gibt. Gewalt und Tote. Rostock Anfang der Neunziger war kein Ruhmesblatt, Brandanschläge gegen bewohnte oder unbewohnte Häuser, in denen Flüchtlinge unterkommen sollen, sind es auch nicht. Wieder sieht man ein "die gegen uns", und wir leben in Zeiten, in denen ein Prozess wegen Gewalt und Körperverletzung einfach beendet wird, weil der betroffene Asylbewerber "mittlerweile tot ist, also was soll das noch?"
Ich möchte nicht, dass es in Deutschland noch einmal so weit kommt. Dass es ein klares "wir" und ein klares "die" gibt, was abgrundtief gelogen ist. Noch kommt es zu Strafverfolgung, wenn jemand getötet wird, verletzt wird, ja, alleine wenn jemand rassistisch beleidigt wird. Und ich möchte nicht, dass sich das ändert. Noch ist solch ein Verhalten, solch ein Denken nicht salonfähig, noch wird es uns als "das muss man doch aber sagen dürfen" verkauft. Noch glauben wir es nicht. Und das dürfen wir auch nicht. Denn wenn wir das schlucken, wenn wir darauf herumkauen, wenn wir das akzeptieren, dann wird eines Tages auch die Gewalt gegen "die" akzeptabel, dann sind Tote kein Grund zur Beunruhigung, wenn es "nur" die sind. Dann ist es nicht mehr weit bis zu den Beispielen, die ich genannt habe. Und glaubt mir, Leute, daran wird gearbeitet, hart gearbeitet.
Menschen werden verunsichert, belogen, mit Versprechen geködert, nur um ein Ziel zu erreichen. Und das ist nicht, "die" auszurotten oder zu vertreiben. Nein, "die" sind nur die Opfer, ein Mittel zum Zweck. "Die" sind die Opferlämmer, das Ziel, der Feind, auf den man zeigt, um "uns" enger zusammenrücken zu lassen, damit man "uns" besser kontrollieren kann. Man lässt einen Teil von der Leine, hält den Rest in Angst vor "denen", oder wenn das nicht ausreicht, eben auch in Angst vor denen "von oben", ich sage da nur Stasi und Gestapo. Und so hat man die Macht und erhält sie. Vor solchen Machthabern graut es mir.
Ich möchte nicht, niemals in meinem Leben, eigentlich nirgends auf der Welt, aber für den Anfang nicht in Deutschland, nicht in Europa erleben, dass jemand mit dem "wir" gegen "sie" so viel Erfolg hat, dass es tatsächlich wieder salonfähig ist, "sie" zu töten, ohne Strafe zu befürchten. Ich möchte das nicht für mein Land, nicht für meine Menschheit, nicht für Minderheiten, nicht für Religionen und deren Anhänger, ich möchte das überhaupt nicht. Ich bin ein Individuum und habe einen Namen. Auch alle anderen Menschen sind Individuen und haben Namen. Es sind nicht "sie". Und ich wäre in dem Fall niemals Teil von "wir".
Das ist die Botschaft, die ich meinen Lesern mitgeben will. Glaubt nicht an "die", glaubt nicht an einfach erklärte, simpel strukturierte Gruppen. Und glaubt nicht, dass "ganz Deutschland" darauf wartet, "wir" zu werden. Das tun wir nämlich nicht. Krieg gegen "den Feind", die Spanier gegen die mittelamerikanischen Ureinwohner, die Deutschen gegen den "französischen Erbfeind", Iren gegen Engländer, indische Moslems gegen indische Hindus, und, und, und, ist immer auch ein Instrument zur Machtergreifung und zum Machterhalt. Macht da nicht mit. Beurteilt jeden Menschen einzeln, genau so, wie Ihr behandelt und beurteilt werden möchtet. Und lauft einerseits nicht in die Gleichschaltungsfalle der Empörten, aber hört andererseits nie auf, ihnen die Realität vorzuhalten und ihnen mit der Wahrheit zu widersprechen.
Just my 2 Cent.

Keine Kommentare: